Über vier Jahrzehnte hat die DFTG (Deutsche Flüssigerdgas Terminal GmbH), eine Ruhr-Gas-Tochter, versucht, in Wilhelmshaven den Bau eines LNG Terminals zu realisieren. Vergebens. Die Rahmenbedingungen versprachen keinen wirtschaftlich vertretbaren Betrieb. Pipelinegas war stets günstiger. Seit dem russische Angriff auf die Ukraine sind allerdings politische Argumente wichtiger als rein wirtschaftliche. Deutschland will seine Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland mindern und Gas auch aus anderen Ländern wie Katar oder den USA importieren können – per Schiff in tiefgekühltem (minus 161 Grad) und damit flüssigem Zustand. Projektträger ist der inzwischen verstaatlichte Energiekonzern Uniper.
Für den LNG-Import mit Hilfe von Spezialschiffen braucht man die entsprechende Infrastruktur. Damit schon Ende 2022 erstes LNG angelandet werden kann, verabschiedete der Bundestag eigens das LNG-Beschleunigungsgesetz. Seit Juli 2022 liefen in der Jade die Rammarbeiten am künftigen Anleger in Sichtweite des Hooksieler Badestrandes. Am neuen Terminal liegt seit dem 16. Dezember mit der „Höegh Esperanza“ ein Spezialschiff, eine so genannte „Floating“ Storage and Regasification Unit“ (FSRU), über das von Tankschiffen angeliefertes Flüssigerdgas ( LNG) erwärmt und damit regasifiziert, also wieder gasförmig wird. Erdgas hat ein 600-fach größeres Volumen als LNG.
Der erste Rammschlag erfolgte im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Mai 2022. Das in Rekordzeit fertiggestellte Terminal (Stichwort: „Deutschland-Geschwindigkeit“) wurde am 17. Dezember von Bundeskanzler Olaf Scholz offiziell in Betrieb genommen. Das Erdgas wird künftig von der FSRU über eine neue, rund 27 Kilometer lange Pipeline direkt zu Gaskavernen in Etzel (Gemeinde Friedeburg) geleitet, wo es gespeichert oder ins nationale Gasnetz eingespeist werden kann. Die Pipeline des Gasnetzbetreibers Open Grid Europe (OGE) war Mitte Dezember fertiggestellt worden.
Allein das Terminal an der Jade könnte dann 15 bis 20 Prozent der bisherigen Erdgaslieferungen aus Russland ersetzen. Die Halbjahresbilanz bis Juni 2023 weist einen Import von rund 1,5 Millionen Tonnen flüssiges Erdgas aus.
Spätestens seit den Anschlägen auf die russischen Ostsee-Pipelines North-Stream 1 und 2 gelten das Terminal und die neue Pipeline, allein ein 150-Millionen-Euro-Projekt, als Hochsicherheitsbereiche, die auch nach ihrer Fertigstellung von Polizeikräften geschützt werden. Die Bundesregierung hat für zehn Jahre vier schwimmende FSRU gechartert. Sie sollen neben Wilhelmshaven in Brunsbüttel, Stade und Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern stationiert werden.
Von Klimaschützern stark kritisiert werden unter anderem die Pläne, das schwimmende LNG-Terminal mittelfristig durch eine stationäre Regasifizierungs-Fabrik an Land zu ersetzen oder gar zu ergänzen. Diese Großinvestition wäre dann, so die Befürchtung, kein „Gas-Notprogramm“ mehr, sondern die jahrzehntelange Festlegung auf den fossilen Energieträger Erdgas, der möglichst schnell durch regenerative Energieträger ersetzt werden sollte.
Darauf weist unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in ihrer Mitte Oktober eingereichten Einwendung gegen die Genehmigung des FSRU von Uniper vor Wilhelmshaven hin. Neben „zahlreichen rechtlichen Defiziten“ kritisiert die DUH, dass der Uniper-Antrag darauf abzielt, das Terminalschiff „Höegh Esperanza“ für eine unbefristete Dauer betreiben zu dürfen. „Dies widerspricht den Klimazielen aus dem Bundesklimaschutzgesetz und konterkariert die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die FSRU maximal zehn Jahre betreiben zu wollen.“
Dazu Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Mit diesem Genehmigungsantrag bereitet Uniper den Einstieg in eine neue fossile Abhängigkeit vor – ohne sich mit den Folgen auf das globale Klima auseinanderzusetzen. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz und dagegen werden wir rechtliche Schritte prüfen. Es geht uns nicht darum, das Projekt zu verhindern. Wir wollen erreichen, dass neue fossile Anlagen nur in Einklang mit den Klimazielen genehmigt werden. Und das heißt: Der Betrieb des Terminalschiffs ‚Höegh Esperanza‘ muss auf maximal zehn Jahre begrenzt werden. Unbegrenzt fossiles Gas zu transportieren und zu verbrauchen, geht in Zeiten der Klimakrise schlicht nicht mehr.“
Niedersachsens damaliger Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) hielt dem bereits im Sommer 2022 entgegen, dass die LNG-Infrastruktur im Anschluss auch für den Import etwa von „grünem Wasserstoff“ genutzt werden kann.
Der Genehmigungsantrag für den Betrieb der FSRU „Höegh Esperanza“ weist aus Sicht der DUH darüber hinaus auch bei Störfallrecht, Emissionsschutz und Wasserrecht erhebliche Mängel auf. So habe Uniper keinen Nachweis für die Einhaltung von Luftschadstoff-Grenzwerten erbracht und auch die Folgen einer möglichen Havarie eines LNG-Tankers auf der Jade mit einem anderen Schiff seien nicht hinreichend bedacht.
Am 12. August 2022 behinderten Aktivisten des Umweltschutz-Bündnisses „Ende Gelände“ die LNG-Baustelle in Wilhelmshaven und besetzten ein Materiallager für den Pipelinebau nach Etzel am JadeWeserPort. Sie werten das Projekt als „Ausbau der fossilen Infrastruktur“, gegen den ziviler Ungehorsam angebracht sei. Ab Oktober richtete sich die Kritik vornehmlich gegen befürchtete Umweltbelastungen durch den Betrieb der FSRU. Durch Chlor als Biozid wollen die Betreiber verhindern, dass sich Muscheln oder Seepocken im Rohrsystem der Regasifizierungsanlage festsetzen. Als nicht zeitgemäß und umweltschädlich bewertet auch die BUND-Kreisgruppe Wilhelmshaven das Verfahren.
Das LNG wird durch Nordseewasser erwärmt. Bei dem Prozess fallen täglich gut hundert Kilogramm Chlor an, das in einer Konzentration von bis zu 0,2 Milligramm (mg) je Liter in die Jade eingeleitet werden soll. Umweltschützer befürchten, dass die Chemikalien das Gewässer belasten. Betreiber und Gutachter sehen angesichts der geringen Konzentration keine Gefahren für Flora, Fauna und Badende in der Jade, zumal in Schwimmbädern eine deutlich höhere Chlorkonzentration zulässig ist.
Kritische Stimmen zu dem LNG-Vorhaben gibt es auch in Hooksiel. Es besteht die Sorge, dass der Baulärm am Terminal, aber später auch der Dauerbetrieb der potenziell explosionsgefährdeten Anlagen dem Tourismus im Ort und vor allem dem Badebetrieb schaden könnten. Chloreinleitungen in Sichtweite des Badestrandes seien keine Werbung für einen Urlaubsort, befürchtet etwa Dieter Schäfermeier von der Wählergemeinschaft Pro Wangerland.