Geschichte und Geschichten

Von Gerd Abeldt

Ein Freitagnachmittag im Februar 1991. In Hooksiel wächst die Robbenplate aus dem Boden. An der Schnittstelle zwischen Ferienwohnungs-Ghetto und Dauer-Wohngebiet baut die Firma Janßen eine Reihe von Doppelhäusern. Auf der Suche nach einem Domizil für mich und meine Familie sehe ich auf einer gerade gegossenen Bodenplatte eine Mann stehen: Helmut Kleinow. „Was wird das hier?“ frage ich ihn. „Eine Kapitalanlage“, antwortet der Pädagoge, der selbst im Ortskern ein schickes Klinkerhaus bewohnt und noch Mieter für seine neue Doppelhaushälfte sucht. 

Die erste Station des Autos in Hooksiel: die Robbenplate. Foto: hol

Am Sonnabendmorgen hat er die gefunden. Meiner Frau gefällt die Vision vom Haus direkt am Wasser genauso gut wie mir. Im Juni 1991, wenige Stunden nachdem die letzten Fliesen im Flur verlegt sind, werden wir mit unseren beiden Kindern Hooksieler. Eine Entscheidung, die wir bis heute nicht bereut haben. 

Es gibt viel gute Gründe, in Hooksiel leben zu wollen. Bei uns war es eine völlig verfehlte Wohnungsmarktpolitik in Wilhelmshaven. Eigentlich hätte ich laut Arbeitsvertrag als Redakteur der „Wilhelmshavener Zeitung“ ein Quartier im Oberzentrum beziehen sollen. Aber das war Anfang der 1990er Jahre schlichtweg nicht möglich. Neubaugebiete gab es nicht. Und die tollen Wohnhäuser in der Südstadt waren zum großen Teil Spekulationsobjekte von Immobilienhaien geworden, die durch den Weiterverkauf nach Scheinsanierungen ihr Geld verdienten.

Sehnsuchtsort

Der Alte Hafen: Die wirtschaftliche Keimzelle von Hooksiel. Foto: hol

Der Küstenbadeort Hooksiel ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Der idyllische Sielort liegt an der Schnittstelle zwischen Land und Meer, zwischen Stadt und Dorf, zwischen Industrie und Tourismus. Der Namensteil „Hook“ steht für den Vorsprung an der Küstenlinie, die sich allerdings durch das Aufspülen des Voslapper Grodens in Wilhelmshaven in den 1970er Jahren komplett verändert hat. Das historische Siel, dem der Ort seinen zweiten Namensteil verdankt, ist noch als Bauwerk am Rande des Alten Hafens im Ortskern erhalten – auch wenn es keine Entwässerungsfunktion mehr hat. Das Siel markiert heute die Trennlinie zwischen dem Hooksmeer, der künstlich geschaffenen Verbindung vom Alten Hafen zum neu geschaffenen Außenhafen, und dem Hooksieler Tief. 

Umschlagplatz

Dem Hookstief, der Wasserverbindung zur heutigen Kreisstadt Jever, verdankte der Hafenort seine erste wirtschaftliche Blütezeit – als Umschlagplatz für auf dem Seeweg importierte Güter. Wie dem Buch „450 Jahre Hooksiel – Bilder eines Sielortes“ von Hans Ney (1924-2016) zu entnehmen ist, ist ein Sielbauwerk im Ortskern von Hooksiel seit 1546 nachgewiesen. Der Ort selbst wird bereits 1479 erstmals urkundlich erwähnt. Deutlich älter ist der heutige Ortsteil Pakens.

„Der Oldenburger Graf Anton Günther ließ 1603 auf Staatskosten vor dem Siel einen Hafen ausbauen, so daß dieser Hafen eine Zeitlang als modernster zwischen Emden und Brake galt.“ Die Investition sei unter anderem durch Kajengeld und Zölle refinanziert worden. 

Wie aus Umschlaglisten Mitte des 19. Jahrhunderts hervorgeht, wurden über Hooksiel überwiegend landwirtschaftliche Güter und Produkte (Butter, Käse, Knochen, Gerste, Hafer, Weizen, Rapssaat, Roggen) ausgeführt. Ausgeladen – und dafür mit Kajengeld belegt – wurden hingegen Güter wie Branntwein, Wein, Tabak, Zucker, Sirup, Reis, Tran, Eisen, Pech, Ziegelsteine, Kohle, Torf, Holz und Kaufmannswaren. Das Hooksieler Tief mit Hooksiel als Versorgungshafen von Jever mit um die 400 Schiffsbewegungen jährlich entwickelte sich, so Ney, ab Mitte des 16. Jahrhunderts zur „wirtschaftlichen Schlagader“ des Jeverlandes. „Diese Achse hat rund 300 Jahre lang ihre Bedeutung gehabt.“ Dampfschiffahrt, Eisenbahn und der flächendeckende Straßenbau bereiteten der maritimen Boomzeit von Hooksiel letztlich das Ende. 

Tourismus

Hooksiel musste sich neu erfinden. Der Hafen wurde zunehmend von Küstenfischern genutzt. Der Ort selbst entdeckte den Tourismus als wirtschaftliche Chance. Bereits 1893 sollen bei Gastwirten im Ort erste Badegäste Quartier bezogen haben. Am 9. September 1911 wurde ein Badeverein gegründet, der erste touristische Maßnahmen wie das Aufschütten von Sand für eine Badestelle sowie den Ankauf einer Strandhalle („Giftbude“) veranlasst. Damen und Herren erhalten – in gehörigem Abstand – Umkleidebuden. Erste Strandkörbe werden aufgestellt. Aus diesen Anfängen entwickelte sich das Strandbad Hooksiel. Auch die ersten „Naturisten“ entdeckten bereits um die Jahrhundertwende Hooksiel. Die Freikörperkultur wurde seinerzeit, so Ney, vornehmlich von Nichtrauchern und Vegetariern gepflegt. 

Geworben wird für den Erholungsurlaub in Hooksiel in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg neben der gesunden Seeluft und der weiten Sicht übrigens mit gutem Essen („Hooksieler Vollfettkäse“), Segel- und Ruderpartien, der Gelegenheit zur Jagd auf Robben und Seevögel sowie mit Tagestouren zum Kriegshafen Wilhelmshaven, aber auch nach Helgoland, Bremerhaven oder den Ostfriesischen Inseln. 

Industrieansiedelung

Die geografischen Verhältnisse in und um Hooksiel ändern sich 1971 grundlegend. In Wilhelmshaven wir der Voslapper Groden eingedeicht. Es entstehen riesige Flächen für Industrieansiedlungen – und östlich von Hooksiel, als eine Art Beiwerk, ein 240 Hektar großes Freizeitgelände samt Hooksmeer, Außenhafen, Strandgelände, Campingplatz,Wanderwege und Sportstätten.

Die Neuordnung der Küstenlinie bietet dem Sielort, der seit dem 1. Juli 1972 zur erst 1971 im Rahmen der kommunalen Gebietsreform in Niedersachsen neu gebildete Gemeinde Wangerland gehört, viele Chancen – aber auch Risiken. Tourismus in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Industriegebiet. Kann das funktionieren? Bislang gab es keine Probleme. Schiffsgiganten auf der Jade auf dem Weg zum Containerhafen JadeWeserPort oder zu Kohle- und Ölumschlaganlagen werden offenbar eher als maritime Bereicherung denn als Bedrohung wahrgenommen. Tanklager und Chemiewerk in der Nachbarschaft arbeiten seit Jahrzehnten ohne nennenswerte Störfälle.

Welche Auswirkungen die Entwicklung Wilhelmshavens hin zur „Energiedrehscheibe 2.0“ mit Flüssigerdgasimport und Wasserstoffproduktion im Großmaßstab auf Hooksiel haben wird, bleibt abzuwarten. 

Weltoffen

Hooksiel wächst. Die Nachfrage nach Wohnraum in dem Zielort ist groß. Foto: hol

Mit über 2000 Einwohnern ist Hooksiel der größte Ort in der Gemeinde Wangerland. Kindergarten, Schule, Einkaufsmöglichkeiten, zahlreiche gastronomische Betriebe, Rad- und Wanderwege, verschiedenste sportliche und kulturelle Angebote, der lange Strand und ein großes Binnengewässer direkt vor der Haustür. Hooksiel ist lebens- und liebenswert. Hinzu kommt die zentrale Lage. Der Ort ist ampelfrei über die Autobahn 29 und die Landesstraße 810 zu erreichen. Die Innenstädte von Wilhelmshaven und Jever liegen jeweils nur rund 15 Kilometer entfernt. Beide Städte haben zudem ein reichhaltiges Einzelhandels-, Freizeit- und Kulturangebot und sind auch per Bus über erreichbar.

Und Hooksiel wächst weiter. Grundstücke für Dauerwohner im Neubaugebiet sind ebenso begehrt wie Areale für Hotel und Ferienwohnungen. Inzwischen haben etliche Immobilien-Investoren aus der ganzen Republik ihr Ferienhäuschen in Hooksiel selbst bezogen. Traditionell leben viele aktuelle und ehemalige Marine-Angehörige in dem kleinen Ort am Rande des Marinestützpunktes Wilhelmshaven. Ein Grund für die Beliebtheit von Hooksiel dürfte die Weltoffenheit des Ortes und seiner Bewohner sein. Hooksiel ist halt immer noch eine kleine Hafenstadt – und eine Art Schmelztiegel für Menschen verschiedener Landsmannschaften, alt oder jung, mit oder ohne Migrationshintergrund, mit oder ohne Handicaps. Neubürger werden schnell integriert, Tradition und Moderne verwoben. Meine Frau und ich jedenfalls sind froh und zufrieden damit, jetzt schon seit über 30 Jahren Hooksieler zu sein.