Die Dekarbonisierung der Energieerzeugung in Deutschland wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Einen Zwischenschritt soll ein Projekt werden, das die Nord-West-Oelleitung GmbH (NWO) in Wilhelmshaven zusammen mit dem Energiekonzern Wintershall Dea – unterstützt vom Land Niedersachsen – vorantreibt.
Die NWO ist die Keimzelle der Energiedrehscheibe Wilhelmshaven. Seit 1956 werden über das Unternehmen am tiefen Fahrwasser der Jade Mineralölprodukte importiert und per Pipeline an angeschlossene Raffinerien in Hamburg und im Ruhrgebiet weitergeleitet. Durch den Transport gasförmiger Energieträger will NWO jetzt einen Beitrag zur Energiewende leisten und „Teil des neuen Energy-Hubs in Wilhelmshaven“ werden, so NWO-Geschäftsführer Dr. Jörg Niegsch im August 2022. „Insbesondere hinsichtlich des Wandels im Ölgeschäft können wir hierdurch vor allem auch unseren Mitarbeitern eine optimistische Zukunftsperspektive bieten.“ Derzeit läuft etwa ein Fünftel des deutschen Rohölimports über Wilhelmshaven.
Für den Transport gasförmiger Energieträger soll eine derzeit ungenutzte NWO-eigene Mineralölfernleitung mit einem Durchmesser von rund einem Meter zum Einsatz kommen, die vom Tanklager Wilhelmshaven über 55 Kilometern bis nach Barßel (Landkreis Cloppenburg), parallel zur aktiven Pipeline (nach Köln/Wesseling) verläuft.
Projektpartner für die NWO soll Winterschall Dea werden, der größte unabhängige Gas- und Ölproduzent Europas. Der Konzern plant in seinem Projekt „BlueHyNow“ die Produktion von großen Mengen „kohlenstoffarmen Wasserstoff“ aus norwegischem Erdgas auf dem NWO-Gelände in Wilhelmshaven. „BlueHyNow ist Teil des Energy-Hubs, der derzeit in Wilhelmshaven entsteht“, so die Unternehmen. NWO könne dafür seine Pipeline-Infrastruktur sowie seine Expertise im Bereich Rohstofftransport und -lagerung einbringen. Nach einer im August verkündeten Absichtserklärung soll bis Ende 2022 eine Machbarkeitsstudie vorliegen.
So genannter „blauer Wasserstoff“, der mit Hilfe von Erdgas hergestellt wird, sei für die Energiesicherheit in Deutschland neben Wasserstoff aus den Erneuerbaren („grüner Wasserstoff“) unverzichtbar, sagt Hugo Dijkgraaf, Vorstandsmitglied und Chief Technology Officer (CTO) bei Wintershall Dea.
Deutschland drohe eine erhebliche Kapazitätslücke. Laut aktuellen Prognosen steige der Wasserstoffbedarf von heute 55 Terrawatt-Stunden (TWh) pro Jahr bereits bis 2030 auf 90 bis 110 TWh an. Die Pläne im Koalitionsvertrag der Bundesregierung konzentrieren sich auf Wasserstoff auf Basis von Strom aus erneuerbaren Energien, brächten aber zusätzlich nur rund 28 TWh pro Jahr. Wintershall Dea wolle mit BlueHyNow mit einer jährlichen Kapazität von 5,6 TWh den Aufbau des Wasserstoffmarktes unterstützen. Das bei der Produktion entstehende CO2 werde aufgefangen, nach Norwegen und Dänemark verschifft und dort dauerhaft in tiefen geologischen Gesteinsschichten unter dem Meeresboden eingespeichert.