Hooksiel (12. 7. 2024) – Es dürfte kaum Hooksieler geben, denen mehr Lebewesen ihre Existenz zu verdanken haben. In seinem Berufsleben hat Heinrich Theilen rund 264.000 Rinder besamt. Und das waren nur die Erstbesamungen. Kühe, die nicht beim ersten Versuch tragend wurden, wurden nachbesamt. Etwa neun Monate später kamen dann die Kälbchen zur Welt. Die wirtschaftliche Grundlage der Rinderhalter.
Heinrich Thielen feiert an diesem Freitag seinen 80. Geburtstag. Obwohl er schon seit 2009 in Ruhestand ist, kennen nahezu alle Landwirte im Nordwesten seinen Namen. Und der Hooksieler kennt nahezu jeden Hof samt Herde. „Das ist die Voraussetzung dafür, dass man seine Kunden gut beraten kann.“
Geboren wurde Heinrich Theilen in Wüppels. Hier wurde er mit fünf Jahren in die Dorfschule eingeschult und nach acht Jahren wieder entlassen. Der damals 13-Jährige hatte Interesse an der Landwirtschaft. Also lernte er drei Jahre Landwirt, legte mit 16 seine Gehilfenprüfung ab. Später, mit Mitte 50, kam dann noch eine nebenberufliche Ausbildung zum Fachagrarwirt hinzu.
Besamungstechnik war große Innovation
In den 1950/60er Jahren gab es noch sehr viele Bauernhöfe in der Region und jeder hatte einige Kühe. Aufwändig dabei: Wer Nachwuchs wollte, musste seine Kuh zu einem Bullen bringen. Die künstliche Besamung war damals eine echte Innovation. Theilen, der nach seiner Ausbildung zunächst auf einem Rinderzuchtbetrieb gearbeitet hatte, wechselte 1967 zum Verein Ostfriesischer Stammtierzüchter (VOST) nach Aurich und ließ sich dort zum Besamungstechniker ausbilden – dem ersten in der Region. Ab sofort kam der tiefgefrorene Samen eines der beim VOST stehenden Bullen direkt zur Kuh.
„Das musste immer schnell gehen“, erinnert sich Theilen, der in seinem ersten Bezirk Landwirte in Ostfriesland betreute. Innerhalb von 24 Stunden muss eine brünstige Kuh mit Samen versorgt werden. Eine auch körperlich anstrengende Arbeit. Eine Hand steckt der Besamer ins Rektum der Kuh. Die andere führt das Besamungsinstrument durch die Schamlippen zur Gebärmutter. „Jetzt, mit 80, merkt man schon die ein oder andere Verspannung im Oberkörper.“
1969 wurde Heinrich Theilen ins Jeverland beordert. Zurück in die Heimat. Seinerzeit gab es hier viele Tierärzte, die das Besamungsgeschäft zu übernehmen drohten. Der VOST-Mann baute ein Haus in Hooksiel. Als das fertig war, heiratete er seine Frau Renate, die er in Krummhörn kennen und lieben gelernt hatte. „Bei uns in der Goedeke-Michel-Straße entstand eine Art Außenstelle des VOST. Ich habe von hieraus weitgehend selbstständig gearbeitet. Und Renate hat anfangs die Einsätze koordiniert.“
Bis zu 250 Kunden betreut
Kühe müssen kalben, wenn sie Milch geben sollen. Deshalb werden sie etwa einmal jährlich besamt. Für die Landwirte aber ebenso wichtig ist der Rat vom Herdenfachmann bei der Auswahl des Samens. Über die Genetik der Zuchtbullen kann man zum Beispiel den Knochenbau stärken, die Milchleistung der Kühe erhöhen oder auch Euter-Erkrankungen vorbeugen.
Heinrich Theilen, von seinen Kunden freundschaftlich „Rucksackbulle“ genannt, hat in der Spitze zeitgleich rund 250 Kunden betreut. Faktisch bedeutete das zehn bis zwölf Stunden Arbeit am Tag – und das sieben Tage die Woche. Der Firmenwagen fuhr häufig 400 Kilometer am Tag oder 80.000 bis 90.000 Kilometer im Jahr. Nur so ließen sich 8000 bis 9000 Erstbesamungen im Jahr bewältigen, von denen rund 70 bis 75 Prozent erfolgreich waren.
Auftritt in der Show von Kai Pflaume
Der Rentner, der noch heute regelmäßig Tierschauen und Rinderauktionen in Verden, Leer oder Oldenburg besucht, ist durch zwei besondere Auftritte auch überregional bekannt geworden. 1982 wurde Heinrich Theilen als bundesweit erster Besamer ausgezeichnet, der es auf 100.000 Erstbesamungen gebracht hatte. Später dann folgte eine Einladung vom Moderator Kai Pflaume zur Berufe-Rate-Show „Kaum zu glauben.“ Jörg Pilawa entlarvte den Besamer, der aber immerhin noch 800 Euro mit nach Hause nehmen konnte. Noch beeindruckender war für Renate und Heinrich Theilen aber die Besichtigung der Fernsehstudios des NDR in Hamburg.
Renate und Heinrich Theilen haben zwei Kinder groß gezogen. Darüber hinaus waren sie ins gesellschaftliche Leben in Hooksiel eingebunden. Gemeinsam traten sie lange bei den „Hooksieler Holschendancers“ auf. Er sang im Shantychor und war im Boßelverein aktiv. Seit einem Jahr ist Heinrich Theilen Witwer. Der Tod seiner Frau nach über 50 glücklichen Ehejahren hat ihn schwer getroffen. Halt gibt ihm seither vor allem seine Familie, zu der fünf Enkelkinder gehören. „Große Freude“ bereiten ihm auch die regelmäßigen Treffen in der Hooksieler Arbeitsgruppe und die Besuche beim Männerkreis der ev.-luth. Kirchengemeinde und beim Hooksieler-Stammtisch. „Ich muss einfach unter Menschen sein.“
Aber auch, wenn er allein ist, kommt bei Heinrich Thelen keine Langeweile auf. Haus und Garten wollen gepflegt werden. Zudem hat er zahllose Freunde und Bekannte in der Region. Und auch die Eigenversorgung zu Hause braucht ihre Zeit. „Ich backe und koche nach einem entsprechenden Kursus selbst. Das klappt ganz gut“, sagt der Jubilar nicht ohne Stolz. An seinem Ehrentag bleibt seine Küche aber kalt. Die 80-Jahr-Feier findet bei der Tochter in München statt.
Pingback: Hooksiel radelt: Auf grünen Wegen zu einem Runddorf mit Geschichte | Hooksiel-life: Vom Leben an der Küste