Hooksiel (10. 7. 2023) – Michael Lampe liebt die Küste. Der Künstler aus Kassel, der die vergangenen vier Woche als Stipendiat der Gemeinde Wangerland im Künstlerhaus in Hooksiel gelebt und gearbeitet hat, dokumentiert das durch eine Vielzahl von Werken, die während seiner Zeit in dem Sielort entstanden oder zumindest vervollständigt worden sind.
Und er liebt das Künstlerhaus, mit seinem niederschwelligen Angebot. Wo Urlauber, die möglicherweise noch nie in einer Ausstellung waren, plötzlich vor dem Künstler stehen und fragen: „Was soll das denn sein?“ „Wenn es das Künstlerhaus noch nicht gebe, müsste man es erfinden“, sagt Lampe, der noch bis zum Wochenende vor Ort ansprechbar ist. Allerdings, so räumt er ein: „Man muss es auch aushalten können, wenn jemand einem ins Gesicht sagt: Das gefällt mir nicht!“
Einblick in die Arbeitsweise des Stipendiaten
Gut Tausende Besucher haben dem Künstler bei seiner Arbeit bislang über die Schulter geschaut, sich seine Drucktechnik und seine Malerei – zum Teil mit Öl- und Acrylfarben übereinander – erläutern lassen. Wichtiger noch: Die Betrachter haben sich auf eine Kommunikation mit der Kunst eingelassen. Der Dialog mit dem Künstler, wie er beim Werkstattgespräch am vergangenen Sonntag möglich war, ist dabei nur eine Ebene.
Künstlerhaus-Leiterin Renate Janßen-Niemann erinnerte an den Titel der Ausstellung: „Literarische Landschaften“. Was das bedeutet? Den ersten Zugang zu einem Thema, zu einem Stoff, zu seinem Motiv suche er in der Literatur, so Lampe. Im konkreten Fall in sagenhaften Geschichten über das Leben und die Menschen an der Nordsee. Er habe bereits im Vorfeld seines Hooksiel-Aufenthalts viele Sagen, Fabeln und Märchen gelesen. Etwa zum Wangerländer Seewiefken. „Unsere Bücherei in Kassel ist da ganz gut sortiert …“
Spannende Textstellen verewig der Künstler in einen zweiten Arbeitsschritt auf der Leinwand. Handschriftlich. Wie viel von diesen Texten der Betrachter später noch lesen kann, ist sehr unterschiedlich. Lampe übermalt die Schriftzüge, ohne ihnen dabei nachzutrauern. „Das ist wie mit den Erinnerungen. Die Texte bleiben da, auch wenn sie übermalt sind – zumindest in Fragmenten.“
Michael Lampe will in seinen Werken der Ästhetik Raum geben, dem Schönen. Das gelingt ihn mit seinen Nordseemotiven selbst dann, wenn düstere Wolken Strand und Dünenlandschft bedrohen oder mäandernde Watt-Strukturen den Betrachter verwirren. „Ich ringe um Ästhetik, sie macht die Welt zumindest nicht schlechter“, sagt der Künstler. Aber er hat auch Botschaften. So etwa bei seiner Umsetzung des Märchens vom Fischer und seiner Frau, die immer mehr von ihm will und nie zufrieden ist.
Erinnerung an die blauen Pferde von Fanz Marc
Politische Forderungen zu Problemen, mit denen das Wattenmeer ringt, wie Plastikmüll, Überfischung oder Industrialisierung, sucht man in den Arbeiten dennoch. Zumindest auf den Vorderseiten der Bilder. Aber jedes Bild hat auch eine Rückseite, die Lampe für grafische Elemente, Zahlen, kleine Texten und, und, und nutzt. Hier gibt der Sozialwissenschaftler, der seit 1999 hauptberuflich als Künstler arbeitet, schon den einen oder andern Hinweis, der den Betrachter über die zum Teil romantisierte Schönheit des Motivs hinaustreibt.
Immer wieder bergen aber auch die Vorderseiten der Gemälde Überraschungen – und regen damit Kommunikation an. Etwa zwei strahlend blaue Pferde am Fuße eines Landschaftsmotivs. Titel des Bildes: „Die verspäteten blauen Pferde“. Warum verspätet? Weil Michael Lampe sie über 100 Jahre nach den berühmten blauen Pferden des Künstlers Franz Marc geschaffen hat. Angst vor großen Vergleichen hat Lampe jedenfalls nicht – und er braucht sie auch nicht zu haben.