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In der Schule fürs Leben lernen – nicht nur für den Abschluss

Reinhold Harms (links) berichtete in Hooksiel vor dem Männerkreis von den Bemühungen, die Berufsorientierung von Schülern zu optimieren. Daneben: Männerkreisleiter Herbert Ulfers (Mitte) und der ehemalige Schulleiter Dietrich Gabbey. Foto: hol

Hooksiel (22. 4. 2025) – Schule soll jungen Menschen Bildung vermitteln. Noch wichtiger ist es aber nach Überzeugung von Reinhold Harms, dass die jungen Leute gut aufs Berufsleben vorbereitet werden. „Früher standen Abschlüsse im Vordergrund, heute geht es darum, den Schülern einen Weg fürs Leben aufzuzeigen“, sagt der Hooksieler Pädagoge, der sich auch nach seinem Abschied aus dem Schuldienst noch um die Berufsorientierung in der Bildungsregion Friesland/Wilhelmshaven kümmert.

Kinder lernen kein Rechnen mehr

Harms, Jahrgang 1956, war bis 2022 im Schuldienst. Zunächst unterrichtete er im Emsland, dann über Jahrzehnte an verschiedenen Schulen in Wilhelmshaven. Zuletzt war er Fachberater für berufliche Orientierung in der Region Friesland-Wilhelmshaven. Noch heute bringt er im Rahmen eines Teilzeit-Auftrags seine Erfahrungen an der Schnittstelle von Schule und Wirtschaft ein. Bei einem Vortrag vor der von Herbert Ulfers geleiteten Männerrunde der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wangerland im Walter-Spitta-Haus in Hooksiel beleuchtete Harms den rasanten Wandel der Schul- und Bildungslandschaft in den vergangenen Jahrzehnten.

„Früher war alles besser!“, „Die Kinder lernen nichts mehr in der Schule!“ „Die können nicht mal mehr rechnen!“ Zu kaum einem andern Lebensbereich gibt es so viele Vorurteile wie zum Bildungssystem. Harms räumte ein, dass die Kinder seit 1972 in Niedersachen kein „Rechnen“ mehr lernen. „Seitdem heißt das Fach Mathematik.“ Und auch sonst habe sich vieles geändert, zum Teil aus pädagogischen Erwägungen, zum Teil auf Betreiben der Politik. Aber dass alles schlechter geworden sei, könne man nicht behaupten, zumal es viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer gebe.

Schwerpunkt Arbeitslehre

Harms stammt aus Minsen, wo seine Eltern eine Schmiede betrieben. Er besuchte die Volksschule im Ort – eine von damals rund 15 Volksschulen im Gebiet der 1972 gebildeten Gemeinde Wangerland. 1966 wechselte er zum „Pro-Gymnasium“ nach Hohenkirchen, das es dort von 1948 bis 1988 gab. Nach Klasse 10 besuchte der stark handwerklich begabe Schüler die Internatsschule in Esens (damals Niedersächsische Heimschule), machte sein Abitur und studierte im Anschluss von 1978 bis 1983 Mathematik und Arbeitslehre/Polytechnik fürs Lehramt.

Gerade die Arbeitslehre sollte sein Berufsleben maßgeblich bestimmen. Während sich die Schullandschaft über die Jahrzehnte maßgeblich veränderte – im Wangerland gibt es heute nur noch drei Grundschulen sowie eine Oberschule, in der Haupt- und Realschule zusammengefasst wurden – haben viele Jugendliche am Ende ihrer Schullaufbahn unverändert Schwierigkeiten bei der Berufswahl. Sie kennen weder die Anforderungen noch den Arbeitsalltag in den verschiedenen Berufsfelder.

„Jeversches Modell“ wegweisend

Als wegweisend für den Landkreis Friesland und die gesamte Region hat sich eine Idee erwiesen, die Pädagogen der Haupt- und Realschule Jever noch unter Federführung des damaligen Schulleiters Dietrich Gabbey (bis 2003) entwickelt haben. Vor dem Hintergrund einer hohen Zahl von Schulverweigerern und vielen Abgängern ohne Abschluss sah das Projekt eine frühzeitige Berufsorientierung vor. Die Schüler besuchten in einem Halbjahr im Jahrgang 8 einen Tag in der Woche die Berufsbildenden Schulen (BBS) und konnten dort alle Berufe, für die in der Region ausgebildet wurde, erkunden. 

Die Motivation stieg, die Zahl der Schulabbrecher sank. Gabbey, selbst Mitglied der Männerrunde, ist überzeugt davon, dass dies der richtige Weg war. Entsprechend enttäuscht seien seine Kollegen und er damals gewesen, dass die Landesschulbehörde es mit einen Dreizeiler abgelehnt habe, das Projekt als offiziellen Schulversuch zu adeln.

Dennoch hat das „Jeversche Modell“ Früchte getragen, sagte Reinhold Harms. „Das Modell wurde in der gesamten Region übernommen.“ Heute lernen Oberschüler im 8. Jahrgang an Berufsschulen die Berufsfelder kennen, können sich in verschiedenen Werkstätten ausprobieren oder die Anforderungen von Pflegeberufen kennen lernen. Im Jahrgang 9 folgen dann dreiwöchige Praktika in Betrieben. In Jahrgang 10 wird ein weiteres Praktikum angeboten. 

Abitur allein hilft nicht

„Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss ist deutlich zurückgegangen“, so Harms. Die Kinder würden frühzeitig ihre eigenen Neigungen, Stärken und Talente erkennen und daraus ihren Berufswunsch ableiten. Eigentlich, davon ist der Pädagoge überzeugt, wäre dieser Ansatz auch für Gymnasien sinnvoll. Rund 60 Prozent der Schüler in Niedersachsen besuchen ein Gymnasium mit einem Ziel: Abitur – häufig ohne eine konkrete Vorstellung vom Leben danach.

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