Angst vor Corona – warum viele Kinder den Schulbesuch verweigern

Hooksiel/Friesland (5. 7. 2023) – Corona ist an den Schulen im Landkreis Friesland immer noch präsent. Auch wenn die Zahl der Erkrankungen von Schülerinnen und Schülern sowie bei den Lehrkräften drastisch abgenommen hat – die Angst ist vielerorts geblieben. Eine Folge: Immer noch gibt es bei Schulen und Schulbehörde eine erhöhte Zahl von Anfragen von Eltern, ob ihr Kind wirklich am Unterricht teilnehmen muss. Schließlich sei es während der Hochzeit der Pandemie auch ohne Präsenzunterricht gegangen. 

Ein 13-Jähriger, nennen wir ihn Ben, besucht eine Oberschule in Friesland. Während der Pandemie haben er und seine alleinerziehende Mutter, sie könnte Anne heißen, miterlebt, wie Bens Großmutter schwe –r an Corona erkrankte. Sehr schwer. Anne war immer froh, wenn die Klasse ihres Sohnes auf Fernunterricht umgestellt wurde. Zu Hause, so ihr Gefühle, könne sie Ben besser vor dem Virus schützen.

Offenbar ist Corona noch da. Auch wenn die Zahl der Anfragen zum Thema Schulverweigerung aus dem Bereich Friesland nach Angaben des Kultusministeriums in Hannover „mittlerweile wieder relativ stabil“ seien – „ohne die hohen Spitzen wie zu Corona-Zeiten“. Immer noch gebe es Ängste und psychische Störungen, die sich in der Corona-Zeit mit dem Wechsel aus Präsenz- und Wechselunterricht entwickelt hätten und die offenbar bis heute noch zu Schulverweigerungen führten.

Bußgeldverfahren gegen 100 bis 150 Familien

Die Zahl der Schulpflichtverletzungen an den weiterführenden Schulen der beiden vergangenen Jahre in Friesland lag nach Auskunft des Schulamtes beim Landkreis gegenüber „Hooksiel-Life“ „bei rund 1 Prozent, also bei 100 bis 150 Schülerinnen und Schülern“. Dabei räumt Landkreis-Sprecherin Nicola Karmires ein: „Diese Zahlen sind gegebenenfalls nicht vollständig, da dem Schulamt nur die Fälle von den Schulen gemeldet werden, die mit einem Bußgeld geahndet werden.“ Vergleichszahlen aus Vorjahren gebe es nicht. 

Bevor die Ordnungsbehörde Bußgelder wegen eines Verstoßes gegen die Schulpflicht verhängt, hat es meist schon einige Versuche gegeben, das Problem zu lösen. In der Regel versuchen die Schulen selbst, Schulsozialarbeiter, Betreuungslehrer oder Schulpsychologen im Gespräch mit den Eltern die Gründe für den „Schulabsentismus“ herauszubekommen. Notfalls wird dabei auch das Jugendamt eingeschaltet. Erst wenn all das nicht fruchtet, folgt ein Bußgeldverfahren.

Schüler
Viele Schülerinnen und Schüler fühlen sich nach der Corona-Pandemie in der Enge von Schulklassen nicht mehr wohl. Die Angst, sich möglicherweise anzustecken, lähmt ihre Lernfreunde. Themen-Foto: Flickr

Sozialpädagogische Kompetenz in Schulen gestärkt

Das Land Niedersachsen versuche, so ein Sprecher des Kultusministeriums gegenüber „Hooksiel-Life“, seit 2016 gezielt, mit der sozialen Arbeit in schulischer Verantwortung die sozialpädagogischen Kompetenzen in den Schulen nachhaltig zu verankern. So seien sozialpädagogische Stellen an allgemein- und berufsbildenden Schulen geschaffen worden. Zudem gebe es eine Vielzahl von Qualifizierungs-Maßnahmen für Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal, in denen der Umgang mit Schulverweigerung, Mobbing, Gewalt und so weiter thematisiert wird. Die Entwicklung eines gesunden sozialen Klimas an den Schulen wirke auch präventiv gegen Schulverweigerung, ist man im Kultusministerium überzeugt.

Die Zahl der Schulverweigerungen und deren Ursachen werden nach Angaben des Ministeriums nicht statistisch erfasst und auch nicht bestimmten Ursachen zugeordnet. Politisch motivierte, von den Eltern unterstützte Schulverweigerung – die in Teilen der Querdenker-Bewegung als Mittel gegen die Beeinflussung von Kindern propagiert wird – ist in Niedersachsen offenbar noch kein Thema. Meist seien die Gründe für Schulverweigerung sehr individuell, lägen in Phobien, Trennungsängsten oder anderen Persönlichkeits-Auffälligkeiten, heißt es in Hannover. 

Online-Unterricht nicht mehr vorgesehen

So dürfte es auch bei Ben sein. Er hat bis heute noch Angst, dass er oder seine Mutter an Corona erkranken könnten. Deutlich über 20 Fehltage hat er in diesem Schulhalbjahr gesammelt. Entschuldigt, wie Anne ihm bescheinigt hat. Als Schulverweigerer ist Ben noch nicht aufgefallen. Der Junge freut sich auf die Ferien. Nicht weil es in den Urlaub geht – aber in der Schule fühle er sich immer noch nicht wieder richtig wohl. Trotz netter Mitschüler, freundlicher Lehrer und einer objektiv sehr geringen Ansteckungsgefahr.

„Aber was ist im nächsten Herbst?“ fragt Ben. „Vielleicht kommt das Virus zurück.“ Annes Vorschlag: „Wir haben bei uns ein gutes Internet. Sicherer wäre es, wenn Ben nur Online-Unterricht hätte.“ Diese Möglichkeit aber sieht das Schulgesetz nicht vor.