Warum die Bäckermeister erst wieder lernen mussten, richtig zu backen

Von Gerd Abeldt

Im nächsten Jahr wird die Bäckerei Ulfers 150 Jahre alt. „Hooksiel-life“ sprach mit Geschäftsführer Thomas Ulfers über den Strukturwandel der Branche und die aktuelle Herausforderungen.

Hooksel-life: Herr Ulfers, in jedem Supermarkt gibt es heute große Backshops. Wozu braucht es noch Bäckereien?

Ulfers: Moment, Moment. Man kann die Backwaren in Verbrauchermärkten mit denen aus echten Bäckereien nicht vergleichen. Das eine ist Handwerk, das andere Industrieproduktion …

Thomas Ulfers

Hooksiel-life: Aber in der Produktion von Bäckereinen wird es ja auch längst nicht mehr alles mit der Hand gemacht.

Ulfers: Das ist richtig. Wir habe jede Menge Technik, die uns die Arbeit erleichtert. Aber das eigentliche Know-how liegt bei den Bäckern und Konditoren.

Hooksiel-life: Also ist Bäckerei heute nicht nur Backmischungen von der Industrie kaufen, Wasser dazu, backen und verkaufen?

Ulfers: Nein. Das war vielleicht mal in den 1980er/Anfang der 1990er Jahre so. Damals hat die Industrie versucht, dem Handwerk das Leben so leicht wie möglich zu machen. Sauerteig etwa wurde pulverisiert geliefert. Aber die Betriebe haben schnell gelernt, dass dann auch die Wertschöpfung und ein Stück der Qualität weg sind. Glücklicherweise haben damals die Meisterschulen massiv gegengesteuert. Die Meister mussten teilweise wieder lernen, was „richtig“ backen heißt. Heute haben die Bäckereien in aller Regel wieder ihre eigenen Sauerteige und arbeiten mit langen Teigführungen. Also viel Technik und ganz viel traditionelles Handwerk.

Hooksiel-life: Dennoch hat es eine massive Konzentration im Bäcker-Handwerk gegeben …

Ulfers: Ja, die Zahl der Betriebe ist erheblich geringer geworden. Nicht aber die Zahl der Verkaufsstellen. Aber was noch auffälliger ist: Das Sortiment in den Bäckereien hat sich vollständig verändert …

Hooksiel-life: Wie meinen Sie das?

Ulfers: Um 1900 herum hat eine Bäckerei zu 90 Prozent Brot gebacken. Es ging darum, Hungrige satt zu machen. Noch um 1970 bestand das Sortiment zu 40 Prozent aus Brötchen, 30 Prozent aus Brot und 20 Prozent aus Kuchen. Zehn Prozent des Umsatzes machen die Kaffeedepots aus, in denen – exklusiv – Kaffeebohnen von Tchibo oder von Eduscho verkauft wurden. Bei uns gab es Eduscho.

Hooksiel-life: Und heute?

Ulfers:  Kaffeedepots gibt es nicht mehr. Tchibo und Eduscho werden in jedem Supermarkt verkauft. Die Bäckereien haben dafür attraktive Cafe-Bereiche und schenken selbst Kaffee und Kaffeespezialitäten aus. Frühstück und Snacks bringen bei uns heute rund 19 Prozent des Umsatzes. Wir verarbeiten allein rund vier Tonnen Kaffeebohnen im Jahr. Brötchen machen mit 30 Prozent immer noch den größten Teil des Umsatzes aus. Brot nur noch 12, Kuchen etwa 15 Prozent. Heißgetränke aber 15 Prozent. Hinzu kommt, dass sich die Vielfalt etwa bei Broten und Brötchen enorm erweitert hat. Früher kannte man in deutschen Bäckereien kein Baguette und kein Fladenbrot. Und auch nicht 15 verschiedene Brötchensorten, die zum Großteil auch direkt in den Filialen gebacken werden – und entsprechend frisch und knusprig sind.

Hooksiel-life: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für das Bäcker-Handwerk?

Ulfers: Im Moment natürlich in der Kostenentwicklung. Energie und viele Zutaten sind deutlich teurer geworden und wir müssen diese Kosten weitergeben. Ich hoffe, dass sich diese Entwicklung langsam beruhigt. Aber auch unsere Branche leidet enorm am Fachkräftemangel.

Hooksiel-life: Na ja, der Arbeitstag für eine Bäckerin oder einen Bäcker beginnt nachts um 1.30 Uhr. Das ist nicht jedermanns Sache …

Ulfers: Das stimmt. Aber das ist auch nur ein Teil der Wahrheit. Ein Großteil unserer Mitarbeiter ist ja tagsüber im Verkauf tätig. Auch in der Produktion erlaubt es uns die Technik, immer mehr Arbeitsprozesse von der Nacht in den Tag zu verlagern. Und zu backen ist einen unheimlich kreative und erfüllende Tätigkeit. Man produziert etwas, was wirklich benötig wird. Und wenn man viel Glück hat, dann schmeckt es auch noch.

Wie ein Hooksieler Familienbetrieb den Wandel im Bäcker-Handwerk meistert

Hooksiel (20. 4. 2023) – Das Bäckerhandwerk ist im Umbruch. Und das schon seit Jahren. Den Strukturwandel hautnah miterlebt hat der Hooksieler Bäckermeister Thomas Ulfers, Bäcker in fünfter Generation und als Geschäftsführer der Bäckerei Ulfers-Eden verantwortlich für 125 Beschäftigte.

Die Zahl der Bäckereien hat in den vergangenen Jahrzehnten rapide abgenommen. Dafür seien die einzelnen Einheiten größer geworden, berichtete Ulfers in einem Vortrag vor dem Männerkreis der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wangerland, der von seinem Bruder Herbert geleitet wird. Aktuell hätten die Bäckerinnungen Oldenburger Münsterland und Oldenburger Land (einschließlich der ehemals eigenständigen Innungen Friesland und Wilhelmshaven) ihre Fusion beschlossen. Die Zahl der insgesamt davon betroffenen Betreibe: gerade einmal 44.

historisches Bild Ulfers
Die Bäckerei Ulfers war stets ein fortschrittlicher Betrieb: 1951 schaffte man sich einen dreirädrigen „Goliath“ für die Auslieferung der Waren an. Foto: Archiv Ulfers

Um 2500 vor Christi Geburt soll das erste Brot gebacken worden sein. Seit gut 800 Jahren existieren Zünfte als Vorläufer der heutigen Innungen, die Regeln zu Preisen und Löhnen fürs Bäckerhandwerk aufgestellt haben. Und seit 1874 gibt es eine Bäckerei Ulfers. Wie Thomas Ulfers sagte, habe damals sein Ur-Ur-Großvater Johann Ulfers in Minsen eine Bäcker-Witwe geheiratet.

Einer der drei Söhne der Familie, Weert Ulfers, habe sich dann in Hooksiel niedergelassen. Einer von zwei Brüdern, ebenfalls selbstständiger Bäcker, habe seinen Betrieb damals gegen ein Karussell eingetauscht. „Auch das ist eine Entscheidung …“.

Weert Ulfers baute seine Bäckerei als echten Familienbetrieb in einem ehemaligen Schlachtergeschäft in unmittelbarer Nähe zum Hooksieler Sieltor auf. Als Weert Ulfers 1916 zum Kriegsdienst (Erster Weltkrieg) eingezogen wurde, habe sein damals erst 16-jähriger Sohn Johann die Leitung übernommen.

Die Technik hat die Arbeit in der Backstube verändert

1928 wurde mit Werner Ulfers, dem Vater des Referenten, der Statthalter der nächsten Generation geboren. Thomas Ulfers übernahm mit seiner Frau Britta 1992 das Unternehmen, dessen Hauptsitz inzwischen an die Lange Straße verlegt worden war. Und mit Jörn Ulfers gebe es bereits einen designierten Nachfolger. Der Bäckermeister und aktuelle Mitgeschäftsführer gehöre zur Familie, wenn auch nicht in gerader Linie: Er ist der Enkel eines Vorfahren, der sich als Bäcker in Schortens niedergelassen hat.

Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Diesen ökonomischen Lehrsatz hat die Bäckerei-Ulfers stets beherzigt. „Schon mein Uropa war sehr fortschrittlich“, schildert Thomas Ulfers. Mit der Investition in einen Dampfbackofen konnte sich der Betrieb schon 1928 „Dampfbäckerei“ nennen. 1929 wurde in die erste Knetmaschine investiert, die noch mit Pferdekraft angetrieben wurde. 1951 schaffte man sich einen „Goliath“ an, ein Auto mit drei Rädern. Zuvor waren die Waren noch mit Pferd und Wagen ausgeliefert worden.

Neue Technik hat auch die Arbeit in den Backstuben verwandelt. Bis Anfang der 1970er Jahre sei der Backofen noch von hinten mit Torf und Holzbriketts befeuert worden, schilderte Ulfers. 1971 schaffte man sich einen modernen Ofen an, der bis 1999 an der Langen Straße in Betreib war. „Als wir den ausgetauscht haben, standen meinem Vater die Tränen in den Augen.“

Thomas und Jörn Ulfers
Stehen für Tradition und Kontinuität in der Bäckerei und Konditorei Ulfers-Eden: Inhaber Thomas Ulfers (links) und sein designierter Nachfolger und Mitgeschäftsführer Jörn Ulfers. Foto: Ulfers

Bis zum Jahr 2001 war die Bäckerei Ulfers ein rein Hooksieler Unternehmen mit drei Verkaufsstellen. Heute gehören zur Bäckerei und Konditoren Ulfers-Eden 14 Filialen im Raum Jever, Schortens, Wittmund und Wangerland, von denen elf ganzjährig geöffnet haben. In der Produktionszentrale in Jever, in der ein Drittel der 125 Mitarbeiter Brötchen, Brot und Kuchen produzieren, ist der Computer nicht mehr wegzudenken. Bäcker geben Rezepturen, Backplan und Knetzeiten in den Rechner ein, der die Mengen der Zutaten berechnet und zum Beispiel Mehl und Wasser selbstständig zusteuert.

Übernahme der Konditorei Eden war ein Quantensprung

Die Übernahme des großen jeverschen Unternehmens „Kontitorei Dirk Eden“ durch den kleinen Hooksieler Bäckereibetrieb Ulfers im Jahr 2002 war nach den Worten von Thomas Ulfers „ein Quantensprung“ – auch für das Ehepaar Ulfers persönlich. Aus dem Bäckermeister, der aus der Backstube heraus einen Betrieb führte, wurde ein Geschäftsführer, der sich um die Abläufe in einem mittelgroßen Betrieb kümmern muss – aber selbst kaum noch in der Backstube steht. Gespräche mit Mitarbeitern, Lieferanten und Beratungsunternehmen, Analyse von Kosten und Erträgen, optimaler Wareneinsatz, neue Produkte und gegebenenfalls von neuen Standorten sind die neuen Aufgaben des Bäckermeisters Thomas Ulfers. Britta Ulfers, die bis dahin noch selbst die Kunden bediente, schreibt und koordiniert seither die Dienstpläne für über 80 Verkäuferinnen. 

Notfalls müsse man dann auch mal schwierige Entscheidungen treffen, so der 58-Jährige. Die Abgabe der Markenrechte für die „Jeverschen Leidenschaften“ an den Getränkeunternehmer Blume in Friedeburg gehörte dazu. Oder auch die Schließung der langjährigen Ulfers-Hauptfiliale im Ortskern von Hooksiel. „Als wir im ehemaligen Autohaus am Kreisel in Hooksiel eine neue Filiale eröffneten, haben mich die Leute für verrückt erklärt“, erinnert sich Ulfers. „Heute ist das die umsatzstärkste Filiale in unserem ganzen Unternehmen. Für die alte Hauptfiliale fehlt da schlichtweg das Personal.“

Bei allen Entscheidungen, so Ulfers, müsse man immer das gesamte Unternehmen im Blick haben. „Wir müssen uns unserer Verantwortung für über 120 Mitarbeiter und deren Familien bewusst sein.“