Keine Hinweise auf eine erneute Seehund-Seuche im Wattenmeer

Oldenburg/Hooksiel (4. 9. 2023) – 8912 Seehunde wurden in diesem Sommer bei Flügen im Wattengebiet zwischen Ems und Elbe gezählt. Damit hat sich der Bestand im Niedersächsischen Wattenmeer auf hohem Niveau stabilisiert, bilanziert das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES). Die Zahl der Seehunde lag knapp 200 über der im Vorjahr (8723). Die Zahl der Jungtiere ist mit 2195 Tieren konstant (2022: 2176). 

„Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass es keine Hinweise auf mögliche Viruserkrankungen, wie beispielsweise Seehundstaupe oder Vogelgrippe (Influenza H5N1), gibt“, erläutert Prof. Dr. Eberhard Haunhorst, Präsident des LAVES. Seehunde, die tot an der Küste angespült werden, sichtbar erkrankt sind und eingeschläfert werden müssen, werden im Lebensmittel- und Veterinärinstitut (LVI) Oldenburg des LAVES untersucht. „Meeressäuger sind Spitzenprädatoren und damit ein wichtiger Bioindikator für den einzigartigen Lebensraum Wattenmeer“, so Veterinär Haunhorst. Anzahl und Gesundheitszustand lassen Rückschlüsse auf Wasserqualität und Fischbestand zu. Und damit auch auf das empfindliche Lebensmittel Fisch.

Seehunde
Am besten lässt sich die Zahl der Seehunde im Sommeraus der Luft erfassen. Dann liegen die Tiere häufig auf den Sandbänken m Wattenmeer. Foto: LAVES

Meeressäuger tragen ein hohes Infektionspotential in sich und werden auch deshalb intensiv beobachtet. Im LVI Oldenburg wurden im Zeitraum von 2022 bis heute 82 Tiere (Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale) untersucht. Die Pathologen haben bei den Tieren einen massiven Parasitenbefall festgestellt. „Dies ist bei Wildtieren zunächst nichts Ungewöhnliches, doch der Befall ist höher als erwartet und muss weiter beobachtet werden. Eine mögliche Ursache könnte die Beeinträchtigung der Immunsysteme der Tiere durch Umwelteinflüsse sein“, so Haunhorst. 

Rückblick aufs Massensterben im Watt

Rückblick: 1988 und 2002 zog die Seuche „Seehundstaupe“ durch die Population. 1988: Der geringe Seehundbestand an der Niedersächsischen Küste von knapp 2500 Tieren reduzierte sich auf 1400.

2002: 3851 Seehunde wurden tot aufgefunden – der Bestand von rund 6.500 Tieren reduzierte sich um weit mehr als die Hälfte. Im jeweiligen Folgejahr wurden lediglich 229 (1989) beziehungsweise 799 Jungtiere (2003) gezählt.

Die beste Zeit für die Zählung ist bei Niedrigwasser von Juni bis August. Die Tiere ruhen auf Sandbänken und können so vom Flugzeug aus gezählt werden. Das jährliche Seehundmonitoring wird vom LAVES seit 2005 für Niedersachsen organisiert und koordiniert. Schon seit 1958 wird der Seehundbestand in Niedersachsen systematisch erfasst.

Die Trilaterale Seehundexpertengruppe führt im Herbst alle Ergebnisse aus den Ländern zusammen und bewertet die Daten für den gesamten Seehundbestand im UnescoWeltnaturerbe Wattenmeer zwischen Den Helder, Hooksiel, Husum und Esbjerg. 

Für Rettungsaktionen im Watt ist in der Regel das Land zuständig

Wangerland/Hannover (9. 3. 2023) – Alarm im Watt. Menschen in Not. Immer wieder werden Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr Wangerland an die Strände von Hooksiel oder Schillig gerufen. Häufig befreien sie im Verbund mit anderen Rettungsorganisationen Menschen aus dem Schlick und sorgen dafür, dass diese wieder sicher an Land kommen.

Watt vor hooksil
Immer wieder retten Feuerwehrleute der Gemeinde in Not geratene Menschen aus dem Watt. Formal zuständig ist allerdings das Land Niedersachsen. Foto: Bildwerfer Fotografie

Dabei sind längst nicht in jedem Fall die gemeindlichen Feuerwehren für den Rettungseinsatz zuständig. Das geht der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Wangerländer Landtagsabgeordneten Katharina Jensen (CDU) hervor.

„Oft ist unklar, wo die Zuständigkeiten für die Freiwilligen Feuerwehrleute enden, wie es mit dem Versicherungsschutz aussieht und wer Kostenträger für Ausrüstung und Einsätze ist“, sagt Jensen. 

Die Antwort der Landesregierung schafft jetzt ein wenige Klarheit. Laut Innenministerium grenzt das Gemeindegebiet vom Festland aus an die Mittlere Tide-Hochwasserlinie. Bei dem Wattbereich seewärts dieser Linie handele es sich dagegen regelmäßig um so genanntes „ursprüngliches gemeindefreies Gebiet“, da dieser Bereich in der Regel nie durch Hoheitsakt samt Grenzbestimmung einer Gemeinde zugewiesen wurde. 

„Das bedeutet für die Gemeinde- und Kreisfeuerwehren in Friesland, dass sie im Bereich der Nordsee seewärts im Wattbereich für das Gebiet zwischen der mittleren Tide-Hochwasserlinie und der 12-Meilen-Zone nicht zuständig sind, es sei denn, dass das Gebiet wurde einer bestimmten Gemeinde zugewiesen“, sagt Jensen. Für den seewärtigen Bereich sei nach dem Niedersächsischen Brandschutzgesetz daher das Land für den abwehrenden Brandschutz und Hilfeleistungen zuständig. Die Feuerwehren vor Ort werden sicher auch künftig ausrücken, wenn es darum geht, Menschen zu retten. Aber, so Jensen: „Das betrifft ganz praktisch Kosten- und Versicherungsfragen bei Einsätzen in diesem Gebiet.“ 

Auch bessere Wasserqualität verändert Lebensbedingungen im Watt

Hooksiel/Wilhelmshaven (9. 3. 2023) – Ein Team von Forschenden, unter ihnen die Senckenberg-Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Ingrid Kröncke und Dr. Anja Singer aus Wilhelmshaven, hat eine signifikante Abnahme in der Häufigkeit, der Biomasse und der räumlichen Verbreitung von charakteristischen Wattenmeer-Arten im ost-friesischen Wattenmeer festgestellt. Betroffen sind unter anderem Schnecken, Muscheln, Krebsen und Würmer. 

Das Team verglich einen umfangreichen Datensatz aus dem Jahr 2018 von etwa 500 Messstationen mit einem historischen Datensatz aus den 1980er Jahren. Den Artenwandel im Wattenmeer führen die Wissenschaftler in ihrer im Fachjournal „Frontiers in Marine Science“ erschienenen Studie auf eine verringerte Nährstoffbelastung und Auswirkungen des Meeresspiegel-Anstiegs auf die Lebensgemeinschaften im Wattboden zurück.

„Die in den 1980er Jahren noch dominante Gemeine Wattschnecke, der Bäumchenröhrenwurm oder die Sandklaffmuschel haben in ihrer Häufigkeit um mehr als 80 Prozent abgenommen“, erklärt Erstautorin Dr. Anja Singer von Senckenberg am Meer und der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. In der breit angelegten Langzeitstudie wurde die Artenzusammensetzung und deren Veränderung im Watt untersucht – und dabei eindeutlicher Wandel in der Häufigkeit, der Biomasse und der räumlichen Verbreitung zahlreicher Charakterarten festgestellt.

Biomasse hat sich deutlich verringert


Die Zahl der insgesamt gefundenen Arten sei seit den 1980er Jahren im Untersuchungsgebiet zwar fast konstant geblieben – die zahlenmäßige und räumliche Verbreitung sowie der Anteil der Biomasse zahlreicher Arten habe sich aber deutlich geändert. In den 1980er Jahren wurden 90 Arten, 2018 noch 81 Arten identifiziert. „Viel signifikanter ist die Abnahme der Gesamt-Individuenzahl der Arten pro Quadratmeter: Hier gab es einen gemittelten Rückgang um circa 31 Prozent. Die Gesamtbiomasse verringerte sich sogar um circa 45 Prozent im Vergleich zu den 1980er Jahren“, erläutert Prof. Ingrid Kröncke von Senckenberg am Meer und der Universität Oldenburg“, so die Forscher. Die Biomasse der in den 1980er Jahren vorherrschenden Arten (Gemeine Wattschnecke, Bäumchenröhrenwurm, Schlickkrebs) seien hingegen um über 80 Prozent zurückgegangen.

Insbesondere die Zahl der Wattschnecke sowie verschiedener Muschelarten, die sich von an der Sedimentoberfläche wachsenden kleinen Algen ernähren, sei sehr stakt zurückgegangen. Das zeige sich dann auch in der Gesamtbiomasse und Häufigkeit dieser Arten. 

Grund für die Abnahme ist Überzeugung des Forscher-Teams ein vermindertes Nahrungsangebot. „Seit den 1980er Jahren gelten strengere Anforderungen für die Landwirtschaft und für kommunale Kläranlagen, wodurch weniger Nährstoffe in die Flüsse, wie die Elbe, die Weser oder den Rhein gelangen – und damit auch in unser Untersuchungsgebiet.“ 

Weniger Algenblüten auch geringere Nährstoffbelastung

Die verringerte Nährstoffbelastung habe zu einem deutlichen Rückgang von Algenblüten geführt – der Nahrungsquelle der genannten Tiere, erklärt Ingrid Kröncke: „Was für die Wattschnecke vielleicht von Nachteil ist, ist für andere Organismen aber ein deutlicher Gewinn: Die bessere Wasserqualität wirkt sich beispielsweise positiv auf Seegraswiesen und Austernriffe aus. Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen, dass sich Seegrasbestände im deutschen Wattenmeer bis 2018 erholt haben und zeigen eine Ausdehnung der gemischten Muschel- und Austernbänke!“

Auch die Biomasse des Wattwurms stieg um etwa 75 Prozent an. „Wir erklären diese Zunahme mit einer durch den Meeresspiegelanstieg bedingten höheren Sandanreicherung auf den Watten, besonders im westlichen Bereich des ostfriesischen Wattenmeeres. Darüber hinaus führen durch den Meeresspiegelanstieg bedingte höhere Strömungsgeschwindigkeiten zugleich zu einer Abnahme des Schlickgehalts in den Sedimenten“, so Anja Singer: „Eine Synergie dieser beiden Prozesse, Sandanreicherung und Abnahme des Schlickgehalts, bietet bessere Lebensbedingungen für den Wattwurm und andere Arten.“

Räuberische Felsenkrabbe erobert das Wattenmeer

Die Gesamtzahl der invasiven Arten erhöhte sich laut der neuen Studie von zwei auf sechs Arten. Ein Grund: Der klimabedingte Anstieg der Meeresoberflächen-Temperaturen um circa zwei Grad Celsius seit den 1980er Jahren. Zu den „Gewinnern“ zählt die Amerikanische Schwertmuschel, die man nun etwa 80 Prozent häufiger vorfinde. 2018 neu erfasste invasiven Arten sind die Amerikanische Pantoffelschnecke, die Pazifische Auster, die Zwergbrandungsmusche und die räuberisch lebende Felsenkrabbe – sie gelten als tolerant gegenüber höheren Temperaturen.

„Unsere Ergebnisse zeigen deutliche Veränderungen in den Lebensgemeinschaften im Wattsediment, die erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz im Wattenmeer haben werden: Die im Wattboden lebenden Arten stellen eine wichtige Nahrungsquelle für junge Plattfische und brütende und rastende Vogelarten dar“, fast fasst Anja Singer zusammen. „Durch den fortschreitenden Anstieg des Meeresspiegels und der Temperatur wird das Ökosystem des Wattenmeeres mit gravierenden ökologischen und biologischen Veränderungen in der Zukunft konfrontiert sein.“