Auch bessere Wasserqualität verändert Lebensbedingungen im Watt

Hooksiel/Wilhelmshaven (9. 3. 2023) – Ein Team von Forschenden, unter ihnen die Senckenberg-Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Ingrid Kröncke und Dr. Anja Singer aus Wilhelmshaven, hat eine signifikante Abnahme in der Häufigkeit, der Biomasse und der räumlichen Verbreitung von charakteristischen Wattenmeer-Arten im ost-friesischen Wattenmeer festgestellt. Betroffen sind unter anderem Schnecken, Muscheln, Krebsen und Würmer. 

Das Team verglich einen umfangreichen Datensatz aus dem Jahr 2018 von etwa 500 Messstationen mit einem historischen Datensatz aus den 1980er Jahren. Den Artenwandel im Wattenmeer führen die Wissenschaftler in ihrer im Fachjournal „Frontiers in Marine Science“ erschienenen Studie auf eine verringerte Nährstoffbelastung und Auswirkungen des Meeresspiegel-Anstiegs auf die Lebensgemeinschaften im Wattboden zurück.

„Die in den 1980er Jahren noch dominante Gemeine Wattschnecke, der Bäumchenröhrenwurm oder die Sandklaffmuschel haben in ihrer Häufigkeit um mehr als 80 Prozent abgenommen“, erklärt Erstautorin Dr. Anja Singer von Senckenberg am Meer und der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. In der breit angelegten Langzeitstudie wurde die Artenzusammensetzung und deren Veränderung im Watt untersucht – und dabei eindeutlicher Wandel in der Häufigkeit, der Biomasse und der räumlichen Verbreitung zahlreicher Charakterarten festgestellt.

Biomasse hat sich deutlich verringert


Die Zahl der insgesamt gefundenen Arten sei seit den 1980er Jahren im Untersuchungsgebiet zwar fast konstant geblieben – die zahlenmäßige und räumliche Verbreitung sowie der Anteil der Biomasse zahlreicher Arten habe sich aber deutlich geändert. In den 1980er Jahren wurden 90 Arten, 2018 noch 81 Arten identifiziert. „Viel signifikanter ist die Abnahme der Gesamt-Individuenzahl der Arten pro Quadratmeter: Hier gab es einen gemittelten Rückgang um circa 31 Prozent. Die Gesamtbiomasse verringerte sich sogar um circa 45 Prozent im Vergleich zu den 1980er Jahren“, erläutert Prof. Ingrid Kröncke von Senckenberg am Meer und der Universität Oldenburg“, so die Forscher. Die Biomasse der in den 1980er Jahren vorherrschenden Arten (Gemeine Wattschnecke, Bäumchenröhrenwurm, Schlickkrebs) seien hingegen um über 80 Prozent zurückgegangen.

Insbesondere die Zahl der Wattschnecke sowie verschiedener Muschelarten, die sich von an der Sedimentoberfläche wachsenden kleinen Algen ernähren, sei sehr stakt zurückgegangen. Das zeige sich dann auch in der Gesamtbiomasse und Häufigkeit dieser Arten. 

Grund für die Abnahme ist Überzeugung des Forscher-Teams ein vermindertes Nahrungsangebot. „Seit den 1980er Jahren gelten strengere Anforderungen für die Landwirtschaft und für kommunale Kläranlagen, wodurch weniger Nährstoffe in die Flüsse, wie die Elbe, die Weser oder den Rhein gelangen – und damit auch in unser Untersuchungsgebiet.“ 

Weniger Algenblüten auch geringere Nährstoffbelastung

Die verringerte Nährstoffbelastung habe zu einem deutlichen Rückgang von Algenblüten geführt – der Nahrungsquelle der genannten Tiere, erklärt Ingrid Kröncke: „Was für die Wattschnecke vielleicht von Nachteil ist, ist für andere Organismen aber ein deutlicher Gewinn: Die bessere Wasserqualität wirkt sich beispielsweise positiv auf Seegraswiesen und Austernriffe aus. Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen, dass sich Seegrasbestände im deutschen Wattenmeer bis 2018 erholt haben und zeigen eine Ausdehnung der gemischten Muschel- und Austernbänke!“

Auch die Biomasse des Wattwurms stieg um etwa 75 Prozent an. „Wir erklären diese Zunahme mit einer durch den Meeresspiegelanstieg bedingten höheren Sandanreicherung auf den Watten, besonders im westlichen Bereich des ostfriesischen Wattenmeeres. Darüber hinaus führen durch den Meeresspiegelanstieg bedingte höhere Strömungsgeschwindigkeiten zugleich zu einer Abnahme des Schlickgehalts in den Sedimenten“, so Anja Singer: „Eine Synergie dieser beiden Prozesse, Sandanreicherung und Abnahme des Schlickgehalts, bietet bessere Lebensbedingungen für den Wattwurm und andere Arten.“

Räuberische Felsenkrabbe erobert das Wattenmeer

Die Gesamtzahl der invasiven Arten erhöhte sich laut der neuen Studie von zwei auf sechs Arten. Ein Grund: Der klimabedingte Anstieg der Meeresoberflächen-Temperaturen um circa zwei Grad Celsius seit den 1980er Jahren. Zu den „Gewinnern“ zählt die Amerikanische Schwertmuschel, die man nun etwa 80 Prozent häufiger vorfinde. 2018 neu erfasste invasiven Arten sind die Amerikanische Pantoffelschnecke, die Pazifische Auster, die Zwergbrandungsmusche und die räuberisch lebende Felsenkrabbe – sie gelten als tolerant gegenüber höheren Temperaturen.

„Unsere Ergebnisse zeigen deutliche Veränderungen in den Lebensgemeinschaften im Wattsediment, die erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz im Wattenmeer haben werden: Die im Wattboden lebenden Arten stellen eine wichtige Nahrungsquelle für junge Plattfische und brütende und rastende Vogelarten dar“, fast fasst Anja Singer zusammen. „Durch den fortschreitenden Anstieg des Meeresspiegels und der Temperatur wird das Ökosystem des Wattenmeeres mit gravierenden ökologischen und biologischen Veränderungen in der Zukunft konfrontiert sein.“