Chlor als Biozid „Stand der Technik“ oder „Katastrophe für die Artenvielfalt“?

Hooksiel/Wilhelmshaven (11.1.2023) – Der Streit um mögliche Umweltbelastungen durch das Regasifizierungsschiff „Höegh Esperanza“ am LNG-Terminal in Wilhelmshaven geht weiter. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat gegen die Betriebsgenehmigung und die wasserrechtliche Erlaubnis für die FSRU Widerspruch eingelegt. Über die Anlage wird bekanntlich seit Mitte Dezember tiefgekühltes Flüssigerdgas (LNG) angelandet und nach der Regasifizierung ins deutsche Erdgasnetz eingespeist.

Die DUH und andere Umweltverbände beklagen unter anderem, dass Anlagenbetreiber Uniper eine Betriebsgenehmigung bis 2043 erhalten hat. Mit einer so langen Nutzung von fossilen Energieträgern seien die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht erreichbar. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Das LNG-Terminal muss in seiner Laufzeit auf maximal zehn Jahre begrenzt werden“.

Hoegh Esperanza am LNG Terminal
Das Regasifizierungsschiff „Höegh Esperanza“ darf am LNG Terminal große Mengen mit Bioziden belastete Abwässer in die Jade einleiten. Foto: Dietmar Bökhaus

Mit der Genehmigung geht eine unbefristete Erlaubnis zur Einleitung von jährlich dutzenden Tonnen umweltschädlichen Chlors in die Jade einher, beklagen die Umweltschützer. Das an Bord der „Esperanza“ eingesetzte, auf Chlor basierende Säuberungsverfahren von Rohren gegen Muscheln, Seepocken und Algen sei veraltet und müsse durch umweltverträgliche Verfahren ersetzt werden. DUH-Energieexperte Constantin ZergerDie Nutzung von tonnenweise Chlor als Biozid ist eine Katastrophe für die Artenvielfalt der Jade sowie die örtlichen Muschelfischer.“ Mit dem Widerspruch hält sich die DUH den Klageweg gegen die Genehmigungen offen.

In der heute öffentliche gemachten „Wasserrechtlichen Erlaubnis“ vertritt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) die Ansicht, dass der Einsatz von Chlor als Biozid dem „Stand der Technik“ entspricht. Alternative Biozide und Antifouling-Verfahren, wie der Einsatz von Kupferanoden, Chlordioxid, Ozon, Peressigsäure, UV-Bestrahlung, Ultraschall oder Kohlenstoffdioxid würden für FSRUs als weniger geeignet angesehen. Diese Verfahren seinen nach Ausführungen der Antragstellerin insbesondere innerhalb bestehender FSRUs technisch schwierig beziehungsweise nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand umzusetzen, ließen teilweise nicht die Effizienz bei der Antifouling-Wirkung erwarten oder die praktische Eignung der Verfahren sei bislang nicht ausreichend erprobt.

Die Konzentration freien Chlors an den Abwasserauslässen der FSRU soll laut NLWKN unter 0,2 Milligramm/Liter gehalten werden. Dann seien keine negativen Folgen für Flora und Fauna und folglich auf nicht für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, die Muschel- und Krabbenfischer, die Badewasserqualität und die Tourismuswirtschaft im nahe gelegenen Hooksiel zu erwarten. 

„Die aus der Elektrolyse erfolgende Freisetzung von Chlorbioziden und die daraus resultierenden Konzentrationen von Bromnebenprodukten wird sowohl im Nahbereich der FSRU-Anlage, als auch im Fernbereich der Innenjade und des Jadebusens keine messbaren Auswirkungen auf das Ökosystem der Jade und die hier lebenden Organismen haben“, ist die Genehmigungsbehörde überzeugt. Das NLWKN kündigt monatliche behördliche Messungen der Wasserqualität an und verpflichtet die Betreiber zu kontinuierlichen eigenen Messungen. Zudem soll Uniper bis Ende August ein Minimierungskonzept für die Biozideinträge vorlegen – allerdings auf Basis der vorhandenen, umstrittenen Chlor-Technologie. 

Behörde sieht für Badegäste in Hooksiel keine Gefahr durch chlorhaltige Abwässer

Norden/Wilhelmshaven/Hooksiel (16.12.2022) – Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hat am heutigen Freitag dem Betreiber des LNG Terminals in Wilhelmshaven, der Uniper Global Commodities SE, die wasserrechtliche Erlaubnis zur Einleitung von Abwasser in die Jade erteilt. Die Erlaubnis erfolge unter der Verpflichtung, hohe Umweltauflagen zu berücksichtigen, betont die Landesbehörde in einer Stellungnahme.Das LNG-Terminal gilt als wichtiger Baustein in der Strategie zur Sicherung der deutschen Gasversorgung. Am Samstag soll es offiziell in Betrieb genommen werden.

Insgesamt handele es sich um ein Verfahren unter besonderen weltpolitischen Bedingungen, betont NLWKN-Direktorin Anne Rickmeyer. Trotz der geforderten „Deutschland-Geschwindigkeit“ habe das NLWKN habe auf Grundlage geltenden Rechts für einen bestmöglichen Ausgleich gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Belange gesorgt.

Das wasserrechtliche Erlaubnisverfahren stand vor allem wegen der beabsichtigten Einleitung von chlorhaltigem Abwasser im Fokus. Das Abwasser entsteht in der „FSRU“ (Floating Storage and Regasification Unit) – einer schwimmenden Anlage zur Regasifizierung von Flüssigerdgas (LNG). Damit die Rohre sich nicht zusetzen, ist eine Biozid-Behandlung erforderlich. Dafür wird das im Meerwasser enthaltene Natriumchlorid (Salz) unter anderem zu aktivem Chlor (NaOCl) umgewandelt, das dem Abwasser zugesetzt wird.

„Nach einer umfassenden und gründlichen Prüfung des Erlaubnisantrages und der hierzu zahlreich vorgetragenen Einwendungen und Stellungnahmen sind die Fachleute zu dem Ergebnis gelangt, dass die beantragten Abwassereinleitungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und die Erlaubnis erteilt werden kann“, so das Fazit der Genehmigungsbehörde.

Insgesamt mehr als 300 Einwendungen und Stellungnahmen von Trägern öffentlicher Belange, Naturschutz- und Umweltvereinigungen sowie Privatpersonen hatte der NLWKN in den zurückliegenden Wochen zu prüfen und zu bewerten. Gewässerökologische und naturschutzfachliche Einschätzungen hätten großen Einfluss auf die Bestimmungen des Erlaubnisbescheids gehabt, so NLWKN-Direktorin Rickmeyer.

Die Erlaubnis sei unter Berücksichtigung hoher Umweltstandards und zum Schutz des sensiblen Ökosystems mit umfangreichen Inhalts- und Nebenbestimmungen versehen worden. Diese beinhalten unter anderem eine Überwachung der Einleitungen, die Durchführung einer Beweissicherung beziehungsweise eines Monitorings mit einer Kombination aus physikalischen und chemischen Messungen rund um die FSRU und im Jadebusen. Darüber hinaus sei ein umfassenden Minimierungskonzept angeordnet worden.

So wird dem Betreiber auferlegt, ein Minimierungskonzet zu erstellen, in dem er bis zum 31. August 2023 darlegen muss, wie er den Einsatz von Bioziden minimieren will. Darüber hinaus soll Uniper auch den Einsatz alternativer Techniken (ohne Chloreinsatz) prüfen.

Messbare Auswirkungen auf das Ökosystem Jade und die darin befindlichen Lebewesen erwartet die Erlaubnisbehörde übrigens durch den Biozideinträge nicht. Auch ist nach Überzeugung der Erlaubnisbehörde eine gesundheitliche Gefährdung von Badenden etwa am Hooksieler Strand nicht zu erwarten. Der Chlorgehalt des Abwassers der FSRU sei deutlich niedriger als der Chlorgehalt, den das Umweltbundesamt für Schwimmbäder als unbedenklich einstuft. Entsprechende Einwendungen von Umweltschützern, Fischerei- und Tourismuswirtschaft wurden abgewiesen.

Der Erlaubnisbescheid kann samt der dazugehörenden Unterlagen auf der Internetseite des NLWKN eingesehen werden.