Kommentar: Demokratische Parteien müssen nach Ohrfeige reagieren

Von Gerd Abeldt

Hooksiel (24. 2. 2025) — Das Wangerland ist eine kleine Gemeinde. Dennoch verrät das hiesige Ergebnis der Bundestagswahl einiges über die Befindlichkeiten in ganz Deutschland. Zumindest wirft es Fragen auf, über die in den Parteizentralen nachgedacht werden muss.

Das Wahl-Ergebnis liegt auf der Linie des Bundesergebnisses. Die CDU gewinnt (weniger klar als erwartet), die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP werden teils dramatisch abgestraft. Die selbst ernannte Alternative für Deutschland (AfD) verzweieinhalbfacht ihr Ergebnis von vor vier Jahren. Und auch die Linke erzielt einen Achtungserfolg.

Bei näherer Betrachtung verraten die Zahlen: Die Abstimmung wurde eindeutig von nationalen und internationalen Themen bestimmt. Ja, es ging um den Bundestag. Aber noch nie zuvor sind traditionelle Parteibindungen im ländlichen Raum derart zersetzt worden. Die im Wangerland immer starke FDP wurde pulverisiert, dafür klettert die Linke, die in der Gemeinde noch nicht ein einziges Mal zu irgendeinem Thema das Wort ergriffen hat, aus dem Stand auf fast sechs Prozent. 

Ebenso die AfD. Kommunalpolitisch spielt die Partei im Wangerland keine Rolle. Selbst nach der Einquartierung mehrerer Hundert Flüchtlinge in Hohenkirchen gelang es der Rechtsaußen-Partei nicht, in der Gemeinde Fuß zu fassen. Und dennoch: Über 20 Prozent der Wangerländer wählen AfD. Aus Protest? Oder als Beleg für das „Prinzip Hoffnung“?

Offenbar ist die Verunsicherung bei vielen Wählern so groß, dass sie vor allem eines wollen: Eine Neuausrichtung – in der Wirtschafts-, Klimaschutz-, Außen- und Flüchtlingspolitik. Viele Menschen haben Angst, fühlen sich überfordert. Hinzu kommen vielleicht Zukunftsängste bei Landwirten und Fischern, in der bei Touristik-Branche oder bei Menschen, die sich um das Gesundheitswesen sorgen oder an hohen Kosten für Energie, Miete oder im Pflegebereich verzweifeln. 

Das Wahlergebnis ist mehr als eine Ohrfeige für die etablierten demokratischen Parteien. Es ist der vielleicht letzte Weckruf zur Erneuerung. Die direkt gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete Siemtje Möller hat zu Recht gefordert, dass ihre Partei die Basisarbeit vor Ort deutlich verstärken muss. Konkret heißt das: Gespräche mit Menschen, Gespräche, Gespräche und noch einmal Gespräche. Und dabei wären die Parteienvertreter gut beraten, wenn sie nicht nur reden, sondern wenn sie auch genau zuhören, wo den Menschen der Schuh drückt.

Wenn diese Strategie etwas bringen soll, müssen die Parteien insbesondere auch mit den AfD-Wählern sprechen, die man bislang gern in die rechtsextreme Ecke gestellt hat, vielleicht auch um sich schwierige Debatte zu ersparen. Jetzt ist es offenkundig: diese Form von Brandmauer schützt nicht. Sie schadet nur der Demokratie. 20 Prozent der Wähler Rechtsextreme? Das ist abwegig und taugt nicht länger als Argument für eine Diskurs-Verweigerung. 

Die sich abzeichnende schwarz-rote Regierungskoalition verschafft vielleicht etwas Zeit, die derartige Debatten benötigen, wenn sie neues Vertrauen schaffen sollen. Die Parteien wären gut beraten, sie zu nutzen. Auch bei uns im Wangerland. Noch wichtiger wäre es aber, wenn die neue Regierung den Bürgern einen Teil ihrer Ängste nimmt. 

Bestätigte SPD-Abgeordnete Möller fordert verstärkte Parteiarbeit vor Ort

Siemtje Möller mit Lena Gronwald
Die SPD-Abgeordnete Siemtje Möller (li.) freut sich über den neuerlichen Gewinn des Direktmandats für den Bundestag. Zu den ersten Gratulantinnen gehörte Frieslands SPD-Kreisvorsitzende Lena Gronewold. Foto: Ole Mattausch

Friesland/Wangerland (24. 2. 2025) – Siemtje Möller zeigt sich am Tag nach der Bundestagswahl einerseits zufrieden, andererseits mit Blick auf das Abschneiden der SPD enttäuscht. „Trotz aller Freude über mein persönliches Ergebnis war es ein bitter-süßer Wahlabend. Die SPD hat das schlechteste Wahlergebnis eingefahren und eine schwere Niederlage erlitten.“ 

Möller dankte den Wählerinnen und Wählern, die ihr erneut ihr Vertrauen ausgesprochen und der 41-jährigen Varelerin damit zum dritten Mal das Direktmandat im Wahlkreis Friesland, Wilhelmshaven, Wittmund für den Bundestag gesichert haben. „Es ist eine große Ehre dieses Amt weiterhin ausführen zu dürfen und es erfüllt mich mit Demut und auch Stolz. Ich werde mich auch in den kommenden vier Jahren mit voller Kraft für das Wohl der Menschen in unserer Region einsetzen.“

Die SPD-Kreisvorsitzenden Lena Gronewold (Friesland), Marten Gäde (Wilhelmshaven) und Werner Ihnken (Wittmund) gratulieren Möller zum erneuten Wahlsieg. Das Trio blickt aber besorgt auf die starken Ergebnisse der AfD. „Die AfD konnte knapp 20 Prozent der Erst- und Zweitstimmen erringen. In einzelnen Wahllokalen ist die AfD sogar stärkste Kraft. Das besorgt uns sehr.“ Man wolle sich weiterhin auf kommunaler, Landes- und Bundesebene stark einzusetzen, um die Menschen wieder von den demokratischen Parteien zu überzeugen. Dafür, so Gronewold, brauche es einerseits einen Diskurs innerhalb der Partei, aber auch eine stärke Fokussierung auf die Themen, die die Menschen an der Küste bewegen.

Auch Siemtje Möller hat nach eigenem Bekunden das hohe Wahlergebnis der AfD „erschreckt“. „Ich mache mir Sorgen um die Menschen in unserem Land und natürlich auch in unserer Region. Wir als SPD müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Dazu braucht es eine Stärkung unser (Partei-)Arbeit vor Ort und wir müssen den Menschen zeigen, dass wir ihre Bedürfnisse verstehen, Herausforderungen angehen und das Beste für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erreichen.“

Die Wahl ist eröffnet: Hooksieler geben Stimmen in der Turnhalle ab

Wangerland/Hooksiel (23. 2. 2025) – Die Wahl ist eröffnet. Seit 8 Uhr haben die Wahllokale in Deutschland für die Abstimmung zur Bundestagswahl geöffnet. Auch im Wangerland, wo um die 7800 Bürgerinnen und Bürger zur Wahl aufgefordert sind. In sechs Wahllokalen können die Wahlberechtigten bis 18 ihr ihre beiden Stimmen abgeben. Eine für eine Partei, eine für die oder den Politiker, der den Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven-Wittmund direkt im Bundestag vertreten soll.

In Hooksiel hat die Gemeinde Wangerland das Wahllokal in der Sporthalle an der Grundschule eingerichtet. Allgemein wird bei dieser „Richtungswahl“ von einer hohen Wahlbeteiligung ausgegangen. Auch weil die Außentemperaturen gemäßigt sind. Eisige Kälte jedenfalls wird niemanden davon abhalten zu wählen. Sehr viele Wähler haben ihre Stimme bereits im Vorfeld per Briefwahl abgegeben, so dass sich die Schlangen vor den Wahllokalen in Grenzen halten sollten.

Bei der vergangenen Wahl am 26. September 2021 hatte sich die SPD-Kandidatin Siemtje Möller aus Varel mit 45,4 Prozent der Stimmen im Wahlkreis deutlich gegen Anne Janßen (22,2 Prozent) durchgesetzt. Letztlich waren beide im Bundestag vertreten, da die Wittmunderin Janßen über die Landesliste ihrer Partei den Weg nach Berlin gefunden hat. Ebenso wie Joachim Wundrak von der AfD (7,7 %). Möller und Janßen stehen auch bei dieser Wahl auf dem Stimmzettel. Wundrak ist nicht wieder angetreten. Für die AfD stellt sich Martin Sichert aus Zetel zur Wahl. 

Das Trio hat unabhängig vom Direktmandat aufgrund seiner guten Listenabsicherung durch die jeweilige Partei sehr gute Chancen, in den auf 630 Sitze verkleinerten Bundestag einzuziehen. Als weitere Direktbewerber gehen Ulrike Maus (Grüne) aus Moorweg, Robert Wegener (FDP), Vincent Janßen (Die Linke), Sanchez Mengeler (Die Partei), Andreas Lang (Freie Wähl), Merten Köhler (Volt) – alle aus Wilhelmshaven – sowie Stephanie Langner (die Basis) aus Zetel ins Rennen.

Auch als Partei hatte die SPD 2021 den Wahlkreis mit 36,7 Prozent der Stimmen deutlich vor der CDU (19,6 %), den Grünen (13,6 %), der FDP (10,0) und der AfD (9,3) gewonnen. Im Wangerland lag die SPD mit 38,0 % vor CDU (24,2), vor FDP (11,7), Grünen (10,7) und AfD (7,5). Ähnlich das Wahlergebnis in Hooksiel, wo Siemtje Möller und die SPD deutlich vorn lagen.